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Der „FC United of Manchester“ wurde 2005 von frustrierten Fans des grossen englischen Fussballvereins „Manchester United“ als Gegenmodel zum kommerzialisierten Fussball gegründet – und geniesst darum bei Fussball-Fans weltweit Kultstatus. Der Verein wird demokratisch von den Mitgliedern geführt, nach dem Motto „unser Spiel – unsere Regeln“. Wir haben die Fussball-Aktivisten, die als „Red Rebels“ in den Niederungen des englischen Liga-Fussballs spielen, bei zwei Meisterschaftsspielen besucht.
Als 2005 der amerikanische Geschäftsmann Malcolm Glazer mit vielen Nebengeräuschen die Kontrolle über das grosse „Manchester United“ übernahm, war die Entrüstung vor allem unter den treusten Fans riesig, weil sie befürchteten, dass ihr Lieblingsverein, den sie über Jahrzehnte begleitet hatten, zum Finanzspielball mit dem einzigen Ziel der Gewinnmaximierung verkommen würde. Tatsächlich nahm der neue ManU-Besitzer Glazer damals zahlreiche Grosskredite auf, um den Kauf der Aktienmehrheit über den Verein zu finanzieren. Schulden, die er dann später gesamthaft auf den Verein übertragen liess. Mit viel Aufsehen gründeten daraufhin rund 4000 Protestler Mitte 2005 den neuen Verein „FC United of Manchester“. Die Neugründung motivierte sich dabei nicht nur aus der feindlichen Übernahme Glazer’s, sondern wandte sich auch generell gegen die Auswüchse des modernen Fussballs mit der totalen Kommerzialisierung. „Seit Jahren müssen wir als Fans absurde Spielansetzungen zu Unzeiten, überteuerte Ticketpreise und eine Übersättigung des Fussball-Fernsehangebotes über uns ergehen lassen, sagte damals Pressesprecher Jules Spenzer. Und: „wir werden wie Idioten behandelt.“
Fussball und Fans sollen demgegenüber bei der United im Einklang bleiben. Man will auch beweisen, dass ein Klub nicht die Seele verkaufen muss, um zu bestehen. Deshalb wird der Verein demokratisch geführt, der Vorstand demokratisch gewählt. Es gilt: Jedes Mitglied kann nur einen Anteil am Verein erwerben und hat bei der Hauptversammlung entsprechend exakt eine Stimme. „Unser Verein – unsere Regeln“ lautet das Motto. Im Manifest der Vereinsgründung des FC United steht auch, dass der Vorstand die Kommerzialisierung des Vereins weitest gehend vermeiden soll. Zwar werden Sponsoren akzeptiert, die Trikots aber stehen nicht für Werbung zur Verfügung. Aufgrund dieser ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte und den hehren Absichten hat die neue, kleine United bei Fussballfans weltweit rasch Kultstatus erreicht – obwohl die Mannschaft noch in den Niederungen des englischen Liga-Fussballs kickt.
Die immensen Solidaritätsbekundungen zeigen eines unmissverständlich auf: wie gross die Sehnsucht in weiten Kreisen der Fussballfans alter Schule nach Tradition und gegen Kommerzialisierung ist. Das erste Meisterschaftspiel absolvierte die United am 13.August 2005 auswärts beim Leek CSOB, wobei die anwesenden 2590 Zuschauer – grossmehrheitlich Fans aus Manchester – gleich einen neuen Ligarekord bedeuteten. Das Spiel wurde mit 5:2 gewonnen. Die Saison war ein Durchmarsch für die United. Man gewann den Meisterpokal, zum Heimspiel der Pokalübergabe gegen Great Harwood Town FC pilgerten 6023 Zuschauer, was abermals einen neuen Ligarekord bedeutete.
Seit der Saison 2008/09 spielen die „Red Rebels“, wie die Mannschaft der United gemeinhin genannt wird, nun in der Northern Premier League Premier Division. In dieser siebthöchsten Spielklasse blieb der Verein hängen, nachdem man in den ersten drei Vereinsjahren jeweils aufgestiegen war. Zuletzt hat man in den play-offs zweimal knapp den Aufstieg verpasst.
Eigentlich würde der FC United schon lange gerne in einem eigenen Stadion spielen, doch Projektpläne liessen sich bisher nicht realisieren. Wenn alles gut läuft, wird der Verein ab der übernächsten Saison eine kleine schmucke Heimstätte im Stadtteil Moston beziehen können. Noch ist der Spatenstich zur Anlage aber nicht erfolgt. So spielen die Red Rebels noch immer an der Giggs Lane im Stadtteil Bury, wo man pro Match rund 5000 £ Stadionmiete bezahlen muss.
Unser 1. Spiel: FC United of Manchester – FC Matlock Town, Giggs Lane, Bury
Eigentlich hätte sich für uns die pünktliche Anreise zum Matchbeginn nach Bury an diesem Nachmittag gut ausgehen sollen. Doch ein verspäteter Flug, überfüllte Ankunftshallen am Flughafen Manchester und immenser Verkehr auf den Strassen sorgten dafür, dass wir erst nach Spielbeginn das Stadion erreichten.
So verpassen wir die ersten 25 Spielminuten, jedoch glücklilcherweise kein Tor. Auf dem Spielfeld macht dann nach unserer Ankunft das Rebellen-Team in den feuerroten Jersey’s munter Druck. Das Niveau in dieser siebten englischen Liga ist, das wird rasch klar, weit über unseren Erwartungen. Der Rasen, Stolz eines jeden Engländers, wäre sogar Champions League tauglich. Wir sehen zwar athletischen Fussball, aber auch eine recht hohe Spielkultur. Ich würde gerne diese Rebellen einmal gegen eine Mannschaft aus der heimischen Challenge League spielen sehen (zweithöchste Liga in der Schweiz) und getraue mich kaum, den Ausgang einer solchen Partie zu prophezeihen. Von den Zuschauerzahlen her würde die kleine United locker in unsere zweithöchsten Spielklasse passen, obwohl diese rückläufig sind. Heute kommen gut 1700 Fans zum Heimspiel und sorgen sowohl für spielbezogenen Support, als auch für grandiose Stimmung. Denn gesungen wird nicht nur vereinzelt, sondern geschlossen. Die Fansongs sind frech, aufmüpfig, trotzig, teils surreal oder einfach humoristisch. Natürlich kriegen Glazer, der verhasste Geschäftsmann aus Florida, und der Fernsehsender Sky als Symbole des Bösen dabei gehörig ihr Fett weg. Zu den Klängen des einstigen Hits „anarchy for the uk“ der britischen Punkband Sex Pistols heisst es hier im Stadion „I am an FC fan …..I want to destroy Glazer and Sky …I wanna be at FC“. Kein Wunder, werden die Roten Rebellen gerne auch als Punk-Fussballer bezeichnet. Bei einigen Verlautbarungen handelt es sich um klassische Manchester United-Fansongs -um zu symbolisieren, dass die Verbindung zur „grossen“ United niemals vergehen wird.
Auf dem Feld kontrollieren die Roten noch immer das Spielgeschehen. Doch trotz Feldvorteilen lassen sich gegen die massierte Abwehr von Matlock Town kaum Chancen kreieren. Kurz vor der Pause erleidet die defensive Taktik der Gäste aber Schiffbruch. Eine Freistoss-Flanke von Roca kann Michael Norton, der Torschütze vom Dienst, am weiten Pfosten in Extremis über den verdutzen Gästehüter per Kopf einnicken. Starspieler wie Norton kassieren bei der United rund 150 Pfund nach Steuerabzug pro Woche. Fliesenleger Norton wurden schon lächerlich hohe Geldsummen angeboten, um anderswo seinen Torriecher unter Beweis zu stellen. Doch der Stürmer will unbedingt für die FC United spielen. In der zweiten Hälfte gelingt es den Gästen aus dem Peak District Gebiet nicht, dem Spiel eine Wende zu geben. Im Gegenteil: die Gegenwehr lässt mit fortgeschrittener Spieldauer immer mehr nach. Die United dominiert das Spielgeschehen und schiesst in regelmässigen Abständen weitere Tore.
Telegramm:
FC United – Matlock Town 4:0
25th August 2012
Gigg Lane, Bury
Zuschauer: 1763
FC United: James Spencer; Kyle Jacobs (C), Lee Neville, Dave Birch, Adam Jones, Dean Stott, Carlos Roca, Jake Cottrell, Mike Norton, Jerome Wright, Matthew Wolfenden Torschützen: 41.Norton 41, 51.Roca, 75. und 84. Jacobs
Spiel 2: Whitby Town FC – FC United of Manchester
Heute sind die Roten Rebellen zu Gast im schmucken Küstenstädchen Whitby. Dort ist man enttäuscht über den Spielplan: denn unter der Woche reisen mindestens tausend Fans weniger aus Manchester an, als dies an einem Wochenende der Fall gewesen wäre. Die entgangene Geldsumme trifft die Vereinsfinanzen empfindlich. Letztlich finden an diesem Mittwoch-Abend nur rund 500 Zuschauer den Weg in den Thurnbull Ground. Davon ist die übergrosse Mehrheit aus Manchester, trotz mehrerer Stunden Anreise.
Whitby ist zwar Tabellenletzter. Dennoch verläuft die erste Spielphase ausgeglichen. Torchancen sind hüben wie drüben Mangelware. Mit zunehmender Spieldauer übernehmen die roten Fussballaktivisten aus Manchester die Kontrolle über das Geschehen
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Zwei hochkarätige Abschlüsse – der eine vom Torhüter grandios vereitelt, der andere knapp am Tor vorbei – bringen vorerst aber nichts Zählbares ein. Es steht 0:0 zur Pause. Auch in der zweiten Spielhälfte entwickelt sich ein munteres Spielchen, mit Abschlussversuchen auf beiden Seiten. In der 58. Minute kann die United den von den Fans ersehnten Führungstreffer bejubeln: Johnson flankt von links zur Mitte, wo wieder Norton zum Kopfball kommt. Whitby-Keeper Liversedge lässt den Ball abprallen – direkt auf den Kopf des lauernden Wolfenden. Die Schlussphase des Spiels enthielt alle Zutaten einer spannenden Cuppartie. Hier die anrennenden Hausherren, dort die konternden Gäste – beide mit Pech im Abschluss. Die Fans singen derweil bereits euphorisch. Von den Tribünen hallt auch wiederholt der für Aussenstehende sinnfreie Schlachtruf „Margentina, Margentina“. Dieser leitet sich aus dem Namen des Trainers und dem Ländernamen Argentinien ab. Dies soll sowohl die Zuneigung für Karl Marginson als auch ein antinationales Statement sein. Denn England pflegt schon länger eine Fussballfeindsachaft mit dem Land aus Südamerika und die Fans aus Manchester haben es nicht so mit dem englischen Nationalismus. Marginson wurde nach der Vereinsgründung 2005 als erster Trainer des Vereins eingestellt – und er ist auch heute, nach sieben Saisons, noch da. Im Gründerjahr meldeten sich rund 900 Fussballspieler aus aller Welt, die gerne für die neue United spielen wollten. 228 Bewerber wurden zum Probetraining eingeladen. Von den 18 damals rekrutierten Spielern haben die meisten den Verein unterdessen wieder verlassen. Die ersten fünf Jahre hatte Trainer Marginson noch nebenbei ein Geschäft für die Lieferung von Früchten und Gemüsen (was ‚fruits&veg‘-Fangesänge erklärt). Jeden Morgen stand er um vier Uhr auf und fuhr acht Stunden lang Gemüse aus. Nachmittages trainierte er die United. Nach einem Jahr im Amt sagte er trotz der langen Arbeitstage: „seit zwölf Monaten bin ich der glücklichste Mann der Welt.“ Mittlerweile kam es für Marginson aber noch besser: er ist nun zu 100% bei der United angestellt und arbeitet auch in der Community und mit Junioren.
Mittlerweile läuft die dritte Minute der Nachspielzeit. Dann der erlösende Schlusspfiff. Die roten Rebellen haben den knappen Vorsprung letztlich über die Zeit gebracht. Die Spieler werden bejubelt und beklatscht. die Unterstützung der Fans ist bei zahlreichen Kickern des Teams der ausschlaggebende Faktor bei der United zu unterschreiben – obwohl man andernorts deutlich mehr Geld verdienen könnte.
Telegramm:
FC Whitby Town – FC United of Manchester 0:1
5. September 2012 Thurnbull Ground, Upgang Lane, Whitby Zuschauer: 482 FC United: James Spencer; Kyle Jacobs (C), Jake Cottrell, Dave Birch, Adam Jones, Dean Stott; Carlos Roca, Matthew Wolfenden; Mike Norton, Jerome Wright, Stephen Johnson
Tor: 58. Wolfenden
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FC United of Manchester: Vereinshomepage FC United (für 12£ kann man co-Besitzer des Vereins werden)
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