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Das schwergewichtige Ahornblatt siegt über die Vereinsembleme
Der seit 1923 zur Weihnachtszeit in Davos ausgetragene Spengler-Cup ist das prestige- und geschichtsträchtigste Eishockey-Turnier der Welt … für Vereinsmannschaften. Doch am Silvester 2012 gewann mit dem „Team Canada“ ein Nationalteam die begehrte Trophäe – und dies bereits zum 12. Mal.
Der Spengler-Cup in Davos machte auch dieses Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr mit sportlichem Spektakel beste Werbung für den Eishockey-Sport. Seit 1923 wird dieses Turnier für Vereinsmannschaften im bekannten Graubündner Touristenort ausgetragen.
Der sportbegeisterte Davoser Lungenarzt Carl Spengler stiftete anno dazumal den ersten Wanderpokal für ein Eishockey-Einladungsturnier; auch, um nach dem ersten Weltkrieg den verfeindeten Nationen „Gelegenheit zu bieten, im friedlichen Kampf ihre Kräfte zu messen und sich kameradschaftlich die Hand zu reichen.“ Rasch entwickelte sich das bestens besetzte Turnier in Davos zu einem Saison-Highlight des Europäischen Eishockeys. Zuweilen wurde der Turniersieger gar als ungekrönter Europameister hoch geachtet. Die ersten Jahre waren auch geprägt durch Sieger aus Ländern, die man heute kaum mit hochstehendem Eishockey in Verbindung bringen würde. Als erstes gewann 1923 die Oxford University – eigentlich ein Team kanadischer Studenten an der englischen Elite-Uni. Später trugen sich neben dem LTC Prag aus der Tschechoslowakei beispielsweise auch Teams wie Diavoli Rosso Neri aus Mailand oder die ACBB Paris mehrmals in die Siegerliste ein.
Heute gilt der Spengler-Cup als bedeutendstes internationales Eishockey-Turnier für Vereinsmannschaften. Dabei ergeht es Zuschauern und Hockey-Stars seit Jahrzehnten gleichermassen. Sie bewundern als Kinder die Cracks mit Weltruf zwischen Weihnachtsguetzli, Skiausflug und eigenem Hockey-Mätschli am Fernseher und pilgern dann, sobald möglich, nach Davos, um live dabei zu sein und jene spezielle Atmosphäre zu geniessen, die alle Teilnehmer als Heimmannschaft willkommen heisst.
Zum ersten Mal durfte ich als 12-jähriger nach Davos reisen und hatte mir ein Spiel mit Vaclav Nedomansky gewünscht, jenem Weltklasse-Spieler von Slovan Bratislava, mit dem damals härtesten Schuss der Welt. Später erfreute ich mich an schillerndsten Namen, die das Eishockey zu bieten hatte, wie dem Russen Alexander Maltsew oder dem schwedischen Nationalspieler Hakan Loob. Unvergessen auch das hochstehende Goalie-Duell der Weltklasse-Keeper Peter Lindmark vom Schwedischen Färjestads und Dominik Hasek aus Pardubice im Jahre 1987.
1991 gewann mit ZSKA Moskau die damals berühmteste und beste Mannschaft der Welt den Spengler-Cup – gecoacht von der Trainerlegende Wiktor Tichonow, der die Sowjetunion, beziehungsweise Russland, zu neun Weltmeistertiteln und drei Olympiasiegen geführt hat.
Die aktuelle 86. Turnierausgabe als Schaulaufen der Weltstars
Noch nie in der Geschichte des Spengler-Cup’s waren aber derart viele Eishockey-Weltstars an einem Spengler-Cup auf dem Eis zu bewundern, wie dieses Jahr. Dafür verantwortlich zeichnete der sogenannte „Lockout“, der den Ausschluss der Spieler in Nordamerika bezeichnet. Dort legt ein Tarifstreit zwischen Spielergewerkschaft und Teambesitzern den Spielbetrieb der National Hockey League (NHL) lahm – und zwingt die Eishockeyspieler der besten Liga der Welt, zum Däumchen drehen …oder bei einem europäischen Verein anzuheuern.
Der HC Davos kann so seit geraumer Zeit auf namhafte NHL-Protagonisten wie Joe Thornton, Rick Nash oder Loui Ericsson zählen und verpflichtete zudem mit dem US-Amerikaner Patrick Kane, einen spektakulären Gastspieler für den Spengler-Cup. Kane hatte 2010 seinem Team – die Chicago Black Hawks – mit seinem Tor in der Verlängerung des sechsten Finalspiels die wichtigste Vereins-Trophäe der Welt gesichert: den Stanley-Cup.
Aus dem hochkarätigen Team Canada dieses Jahres ragen zwei NHL-Haudegen noch heraus: der Kapitän Ryan Smyth ist mit 61 Partien WM-Rekordspieler Kanadas; Patrice Bergeron zählt zur elitären Gilde jener wenigen Spieler weltweit, die Stanley-Cup, Olympiade sowie Weltmeisterschaft gewonnen und damit die drei wichtigsten Titel des Welt-Eishockeys schon errungen haben.
Die Kanadier waren bereits im Vorfeld des Turniers als klarer Favorit gehandelt worden. Zwar hatte das Team der klingenden Namen noch völlig überraschend sein Eröffnungsspiel gegen die Adler von Mannheim verloren. Doch dann hatten sie sich in jedem Spiel gesteigert und alle restlichen Partien problemlos gewonnen. Auf dem Weg zum Turniersieg kam den Kanadiern auch der Turnierverlauf sowie der Spielmodus entgegen. Finalgegner Davos hatte erst einen Tag später ins Turniergeschehen eingegriffen und musste gegenüber Team Canada ein zusätzliches Spiel bestreiten (Umweg über Viertelfinal) .
Davos war bereits in der Vorrunde gegen das Team Canada auf verlorenem Posten gewesen und hatte mit 0:5 verloren. Danach fanden die Gastgeber nach einem 0:2-Rückstand gegen Adler Mannheim doch noch den Rank ins Turnier und siegten mit 6:2 deutlich.
Im Viertelfinal lag Davos gegen Salawat Julajew Ufa aus Russland schnell deutlich voran und liess in der torreichen Partie nichts mehr anbrennen. Schlussresultat 7:5.
Der Halbfinal zwischen dem HC Davos und HC Vitkovice Steel aus Tschechien war das spektakulärste und beste Spiel des diesjährigen Turniers. Davos gewann diese Partie letztlich glücklich dank eines Geniestreichs von Patrick Kane. Der Tausendsassa hämmerte die schwarze Hartgummischeibe 22 Sekunden vor Schluss der regulären Spielzeit unter die Latte des gegnerischen Gehäuses, als schon alle mit einer Verlängerung rechneten.
Am Finaltag waren die Davoser beim fünften Spiel innert viereinhalb Tagen ganz einfach platt, die Beine schwer und immer einen Schritt zu spät. Entsprechend war das Spiel rasch entschieden, nach neun Spielminuten führte das Team Canada bereits mit 3:0. Das Star-Ensemble mit dem „Ahornblatt“ auf der Brust fegte Davos letztlich mit 7:2 vom Eis und holte sich mit Leichtigkeit den Sieg des 86. Spengler-Cups.
Das Team Canada sorgt damit für ein Paradoxum: wie ist es möglich, dass am geschichtsträchtigen Turnier für Vereinsmannschaften überhaupt ein Nationalteam mitmachen und gewinnen darf?
Es brauchte einen Gegenpol zum Ostblock
Die Teilnahme von Team Canada hat handfeste wirtschaftliche Gründe und ist aus einer sich anbahnenden Krise für den Spengler-Cup erwachsen. Herausforderungen hatte der Spengler-Cup immer wieder zu überstehen. Mal drohte der Welt-Eishockeyverband über Weihnachten ein „offizielles“ Konkurrenz-Vereinsturnier mit den besten Vereinsmannschaften Europas zu organisieren, mal zierten sich die Liga-Konkurrenten des HC Davos, den Spielbetrieb in der Schweiz über Weihnachten zu unterbrechen. Die grösste Krise hatte das Traditionsturnier zu überwinden, als der HC Davos in den 1970er Jahren in den sportlichen Niederungen der Bedeutungslosigkeit versank und am Spengler-Cup, weil nicht konkurrenzfähig, nicht mitspielte. Kurzzeitig wurde der Wettbewerb als Nationenturnier mit zweitklassigen Nationalmannschaften ausgetragen, was sich als veritabler Reinfall entwickelte. Das Publikum goutierte diesen Wandel nicht. Die 50. Jubiläumsausgabe des Spengler-Cups verzeichnete 1976 einen Zuschauerrückgang um 24 Prozent.
Ab 1980 liess die Rückkehr zur bewährten Formel mit Vereinsmannschaften aus den führenden europäischen Eishockeynationen sowie dem verstärkten HC Davos das Interesse am Spengler-Cup wieder beleben. Während langen Jahren zählten die brisanten Duelle zwischen sowjetischen und tschechoslowakischen Mannschaften nicht nur an Weltmeisterschaften, sondern auch am Spengler-Cup zu den Höhepunkten. Es ging dabei um nicht weniger, als die Vorherrschaft im Welteishockey.
Zwischen 1965 und 1983 gewannen nur noch tschechoslowakische und russische Mannschaften in Davos. Die Dominanz aus dem Ostblock bot den Zuschauern zwar schnelles, hochstehendes Eishockey. Doch versprachen die russischen und tschechischen Mannschaften dem Turnier auf Dauer zu viel Langeweile und zu wenig Glamour und Medienhype.
Also musste ein Gegengewicht erschaffen werden. Dem damaligen Spengler-Cup Turnierdirektor und ehemaligen HCD-Spieler Alfred Gfeller gelang es dank Beharrlichkeit über mehrere Jahre hinweg tatsächlich, eine Kanadische Mannschaft für das Turnier 1984 zu engagieren. Und hatte tatsächlich Erfolg mit seiner Strategie: das Team Canada ‑ meist mehrheitlich aus Spielern zusammengesetzt, die bei Schweizer oder Europäischen Vereinen unter Vertrag waren ‑ spielte spektakulär und erfolgreich. Es war zudem bei den Fans beliebt. Die Kanadier fehlten seither an keinem Turnier und siegten bereits zwölf Mal. (1984, 1986, 1987, 1992, 1995, 1996, 1997, 1998, 2002, 2003, 2012). Nur der HC Davos, mit 15 Siegen in der Turniergeschichte, war noch erfolgreicher.
Das Team Canada gilt beim Spengler Cup als Nationalmannschaft. Bis heute ist der Spengler Cup neben der Weltmeisterschaft das einzige Turnier, das die kanadische Nationalmannschaft jedes Jahr bestreitet. Entsprechend stösst das Turnier auch im Mutterland des Eishockeys auf Interesse: Die Spiele der Kanadier beim Spengler Cup werden vom Sportsender TSN seit Jahren live nach Kanada übertragen – die Ahornblätter sind sowohl auf dem Eis, als auch als Aktivposten in der Finanzbuchhaltung am Spengler Cup ein Schwergewicht.
So hat sich einiges verändert, seit ich 1974 noch im Freien bei doppelstelligen Minustemperaturen die Spiele verfolgte. Trotz Moon-Boots und mehreren Kleiderschichten fror man dermassen, dass man das Spielende schon fast herbeisehnte – und kaum nachvollziehen konnte, warum wegen Schneefalls noch eine zusätzliche Eisreinigung erfolgen musste.
Da wird heutzutage dem Eventpublikum, den TV-Anstalten und speziell den Sponsoren viel mehr Komfort, Service, Nähe und Happening geboten. Mit „Hitsch“ sorgt im Stadion unterdessen sogar ein Steinbock-Maskottchen mit allerhand Schabernack für Unterhaltung. Dies mag dem geneigten Eishockeyfan ab und an zuviel Kommerz und Brimborium sein.
Aber den Turnierverantwortlichen muss man attestieren: sie haben den Spengler-Cup mit der Ausgabe 2012 dank seiner grandiosen Besetzung und ausnahmslos ausverkauften Partien (elf mal 6504 Zuschauer), zum Zenit geführt. Und ich bin gespannt, wohin sie das Turnier noch steuern werden.
26. Dezember
Fribourg – Ufa 5:1
Canada – Mannheim 1:2 n.V.
27. Dezember
Vitkovice – Ufa 4:5 n.V.
Davos – Team Canada 0:5
28. Dezember
Fribourg – Vitkovice 1:2
Mannheim – Davos 2:6
29. Dezember / Viertelfinals
Fribourg – Mannheim 5:2
Davos – Ufa 7:5
30. Dezember / Halbfinals
Team Canada – Fribourg 5:1
Vitkovice – Davos 4:5
31. Dezember
Final
Team Canada – Davos 7:2 (3:1, 2:0, 2:1)
Vaillant-Arena
6504 Zuschauer (ausverkauft)
Schiedsrichter: Jerabek/Piechaczek (Tsch/De), Fluri/Müller
Tore: 1. (0:46) Bergeron (Tavares) 1:0. 4. Walser (Demers, Bergeron/Ausschluss Brunner) 2:0. 10. Smyth (Bergeron/Ausschluss Holden!) 3:0. 18. Bürgler (Schneeberger) 3:1. 22. Smyth (Bergeron, DuPont) 4:1. 31. Tavares (Walser, DuPont) 5:1. 41. Spezza 6:1. 50. Tavares (Spezza/Ausschluss Kinrade!) 7:1. 58. Diaz (Kane) 7:2
Strafen: 6 x 2 Minuten gegen das Team Canada, 7 x 2 Minuten gegen HC Davos
Team Canada: Dubnyk; Noreau, Colaiacovo; Demers, Walser; Roche, Kinrade; DuPont, Barker; Gagner, Spezza, Tavares; Seguin, Bergeron, Smyth; Holden, Duchene, Pouliot; Micflikier, Brett McLean, Williams.
Davos: Genoni/Berra (ab 31.); Forster, Diaz; Ramholt, Alatalo; Grossmann, Schneeberger; Back; Brunner, Reto von Arx, Hofmann; Kane, Taticek, Eriksson; Bürgler, Marha, Thornton; Sciaroni, Steinmann, Wieser; Sykora.
Bemerkungen: HCD ohne Rizzi, Jan von Arx, Nash (alle verletzt), Guerra, Sieber, Neuenschwander (alle U20-WM), Ryser, Corvi, Joggi (alle überzählig), Team Canada ohne Pelletier, Kurtis McLean (beide überzählig), Ritchie (gesperrt).
All-Star-Team:
Goalie: Dennis Endras (Adler Mannheim)
Verteidiger: Saneri, Alatalo (HC Davos), Dennis Seidenberg (Adler Mannheim)
Stürmer: Patrick Kane (HC Davos), Matt Duchene (Team Canada), Julien Sprunger (Fribourg Gotteron)
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